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Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik der Stadt Jena 2017 geht an Boris Nikitin

Im Zentrum des Jenaer Dramatikpreises steht in diesem Jahr, diesen würdigend, ein postdramatischer Autorenbegriff. So erfolgte die Preisvergabe des Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preises, der alle drei Jahre ausgelobt wird, erstmals direkt, und das Preisgeld wurde mit der Aufgabe zur Entwicklung eines besonderen oder neuartigen Veranstaltungsformates verknüpft.

Der Preisträger heißt Boris Nikitin (Jg. 1979).

Boris Nikitin ©Kenneth Nars

In der Arbeit "Martin-Luther- Propagandasymposium", das nun vom 16. bis 18. Juni 2017 in Jena stattfindet, kann man in exemplarischer Form das Denken Boris Nikitins auf der Bühne erleben. Kritisch-diskursiv und künstlerisch setzt sich der Theatermann mit den Themen Glaube, Religion, Propaganda und Wirklichkeit und Fiktion auseinander. In Bezug auf Martin Luther erfolgt im Reformationsjahr die Dekonstruktion eines nationalen Narrativs. Künstlerisch wird gleichzeitig dort an die Auseinandersetzung mit Geschichte angeknüpft, wo Entwicklungen im Ansatz vorhanden, aber noch nicht gelöst sind.

Der Laudator Nikolaus Müller-Schöll formuliert in seiner Laudatio auf den Preisträger: "... Ein Preis für Dramatik, der sich Lenz verpflichtet weiß, wird also, wenn eine Jury sich der mit diesem Namenspatron verbundenen Verantwortung bewusst ist, zunächst einmal ein Preis sein, der für diese Geste vergeben wird, für einen Schritt aus der Tradition, der in deren genauer Kenntnis mit ihr bricht, und der in diesem Bruch sich auf kein Fundament, kein vorausgesetztes Wissen mehr stützt. Ein Preis für die Aufkündigung des Wissens darum, was das heute ist: Die Dramatik mit ihren Kategorien der Rolle, des Dialogs, des Spiels, der Illusion und der Mimesis. Ein Preis für das Wagnis dessen, was man mit Michel Foucault und Judith Butler als Kritik bezeichnen könnte: für die radikale Ent-unterwerfung, die ein anderes Theater, eine andere Dramatik eröffnet und dabei das Risiko auf sich nimmt, kein Theater und keine Dramatik mehr zu sein – nach Maßgabe der Institutionen und ihrer Wächter.
Eine solche Geste, ein solcher kritischer Akt, steht am Beginn der Arbeit des Schweizer Regisseurs, Installationskünstlers, Kurators, Theoretikers und Autors Boris Nikitin.... Es sind die verborgenen Möglichkeiten, eine Potentialität, die im Raum des Möglichen verbleibt, um derentwillen Nikitin seine Versuchsanordnungen aufbaut. Sein Theater lädt uns ein, im Bestehenden über das Bestehende wie seine Negation hinaus über das nachzudenken, was kommen mag: Anders als wir es erwarten, kritisch in jedem Sinne, ohne Grund, mag sein linkisch, in jedem Fall jenseits des Bekannten."

Der Preisträger Boris Nikitin

Boris Nikitin ist Theaterregisseur, Autor und künstlerischer Leiter des Festivals "It´s The Real Thing – Basler Dokumentartage." Er wurde 1979 in Basel geboren und studierte nach dem Abitur am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Zeitraum 2002 bis 2008. Für die erste eigene Regiearbeit "Woyzeck" 2007 bekam er 2008 den Jury-Preis des "100 Grad Festivals" im Hebbel am Ufer. Seine Diplominszenierung "F wie Fälschung" wurde ebenso wie "Woyzeck" 2009 als eine der besten zehn Off-Theater-Produktionen zum internationalen Theaterfestival "Impulse" eingeladen. Dort erhielt "F wie Fälschung" den Dietmar N. Schmidt-Preis für die beste künstlerische Einzelleistung.
Seit 2010 produziert Nikitin von Basel aus Theaterprojekte sowohl mit freien Spielstätten als auch mit Stadttheatern, wie die Kaserne Basel, dem HAU Berlin. Mousonturm Frankfurt, Münchner Kammerspiele, Theater Freiburg und dem Theaterhaus Gessnerallee Zürich. Produktionen wie "Imitation of Life" (2009) waren u.a. in Johannisburg und Kapstadt, im Sacharow-Institut in Moskau und in Zagreb zu sehen. Als Regisseur und Autor übernahm er Aufträge im gesamten deutschsprachigen Raum und erhielt für die Grazer Inszenierung "Der Fall Dorfrichter Adam" 2011 die Einladung zum Heidelberger Stückemarkt. Die Musik- Theaterperformance "Sänger ohne Schatten", als Auftragsarbeit für die Ruhrtriennale oder sein Performance-Stück "How to win friends & influence people", eine Art Predigt im Kirchenraum, zeigen das Interesse des Schweizer Theaterregisseurs an neuen Formaten und fanden schnell international Aufmerksamkeit. Seine jüngste, internationale Koproduktion "Hamlet", eine freie Neuschreibung des Shakespeare-Stoffs, tourt derzeit durch Europa und wird unter anderem auch das diesjährige "Impulse"-Festival in am Schauspiel Köln eröffnen. "Theater der Zeit" schreibt zu dem Stück: "´Hamlet´hebt die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit im Zeitgenössischen Performance-Theater auf eine neue Stufe." Im April 2013 kamen im Rahmen des ersten von Boris Nikitin kuratierten Festivals "Basler Dokumentartage" die künstlerischen Sparten Tanz und Performance hinzu. Zur Aufführung kamen u.a. Beiträge von Milo Rau oder She She Pop. Zu den aktuellen Dokumentartagen im April waren u.a. bekannte Künstler wie Monster Truck, Oliver Zahn oder Laura de Weck nach Basel eingeladen. In den letzten beiden Jahren avancierte die mehrtägige Veranstaltung zu einem in Europa einzigartigem Festival an der Schnittstelle von Regietheater, politischem und dokumentarischem Theater und Performance, Film, Literatur und Bildender Kunst.

Martin-Luther-Propagandasymposium 16. bis 18. Juni 2017

Stellen wir uns vor: Martin Luther schaut tief in sein Gewissen, überprüft seine theologischen, politischen und sozialen Kriterien und kommt zum Schluss, dass seine Überzeugung nicht mehr gültig ist. Er verändert sein Denken und Handeln, er reformiert sich! Dies ist der Moment radikaler Individuation, Transformation und Politisierung des Selbst und vollendet sich schließlich im Akt ihrer Veröffentlichung, da, wo sie mit anderen Menschen geteilt wird. Bei Luther sind dies die 99 Thesen und das mythisierte Coming-Out: "Hier stehe ich und kann nicht anders". Ein Moment der absoluten Negation und zugleich Anfang in eine neue Identität und Erzählung. Erst in diesem Akt, das ein öffentliches Verneinen der Realität und das Bekennen zu neuem Denken und Fühlen ist, werden Realität und Fiktion untrennbar zu jenem Amalgam verschweißt, das wir "Wirklichkeit" oder "Geschichte" nennen. Dieses Zeugnis, diese Über-Zeugung, ist damit ein genuin religiöser, ein politischer Akt und zugleich ein genuiner Akt des Theaters.
Im Martin-Luther-Propagandasymposium in Jena werden thematisch kooperierende Theateraufführungen, Vorträge und Performances an den Veranstaltungsorten Volksbad, Theaterhaus Jena und Stadtkirche St Michael zu erleben sein.
Die Eröffnung erfolgt am Freitag um 18 Uhr im Theaterhaus Jena. Daniel Boyarin, Professor für Talmud-Studien an der Universität Berkely hält den Eröffnungsvortrag. Es folgt ein Gastspiel in der Stadtkirche St. Michael mit anschließendem Nachgespräch in der Jungen Gemeinde Jena.

Gastspiel: "How to win friends and influence people" (Boris Nikitin)

Stadtkirche St. Michael | 16. Juni 2017, 21 Uhr (Einlass: 20:30 Uhr)
Voll: 18 Euro | ermäßigt 9 Euro (Ermäßigungsberechtigungen analog Theaterhaus Jena)

Dale Carnegies "How to win friends..." (1936) ist der erste Bestseller der Motivationsliteratur. Carnegie beobachtet, dass uns Kommunikation oft nicht gelingt, weil wir ein existenzielles Bedürfnis des 3 Menschen außer Acht lassen: das Bedürfnis, "wichtig" zu sein. Ohne Bedeutung für andere hat mein Leben keinen Sinn. Um zur Gemeinschaft fähig zu sein, muss ich die tief sitzende Standardeinstellung überwinden, dass ich mich als natürlichen Mittelpunkt einer Welt wahrnehme, die ich durch die Linse meines Selbst erfahre. Von der Erweiterung des Blicks oder "Demut" handelt die religiöse Rede. Sie vollzieht eine permanente Vergegenwärtigung, ähnlich einem "Ich liebe Dich", das den Anderen erhebt. Sie aktiviert unsere Potenz zu vertrauen und macht uns zukunftsfähig. Sie muss nicht beweisen, sondern sie bekennt. Sie muss nicht argumentieren, sondern sie verwandelt. Wann höre ich jemandem zu? Wann reißt mich etwas mit? Wann schafft es jemand, dass ich mein Leben ändere? Der zweite Veranstaltungstag am 17. Juni verbindet künstlerische Lecutre-Performances von Gruppen wie Monster Truck, Oliver Zahn/Julian Warner, Laura de Weck mit Gesprächen und Vorträgen. Es schließt sich ein weiteres Gastspiel an, diesmal auf der Probebühne des Theaterhaus Jena.

Gastspiel: Markus&Markus "Gespenster" (nach Ibsen)

Theaterhaus Jena (Probebühne) | 17. Juni 2017, 20 Uhr (Einlass: 19:30 Uhr)
Voll: 18 Euro | ermäßigt 9 Euro (Ermäßigungsberechtigungen analog Theaterhaus Jena)

In Ibsens Drama „Gespenster“ bittet Osvald seine Mutter, ihm Sterbehilfe zu leisten. Sie zweifelt. Einige Schweizer Organisationen bieten genau dieses seit dreißig Jahren und bis heute innerhalb einer moralischen Grauzone an. "Wir sind Markus&Markus. Wir wollen keinen Schauspieler mehr sehen, der so tut, als wolle er sterben. Wir werden unseren Osvald wirklich mit einer Person besetzen, die mit einer Sterbehilfe- Organisation den eigenen Tod plant." Am 01.04.2014 haben wir unseren Osvald getroffen – wir haben jeden Tag mit ihm verbracht, außer zwei Montage. Am 30.04.2014 sind wir mit ihm nach Basel gefahren. Am 22.05.2014 waren wir auf seiner Beerdigung. IBSEN: GESPENSTER ist eine Hommage, ein feierliches Requiem, ein Museum für den verstorbenen Osvald. Auf der Bühne: Ein gesellschaftlicher Diskurs prallt auf ein Drama, dessen Protagonist bereits tot ist. So wie am Freitagabend eine Theateraufführung in der Kirche stattfindet, so wird am Sonntagmorgen ein Gottesdienst im Theaterhaus gefeiert. Beide Veranstaltungen rahmen das künstlerische Symposium. Es wurde ein Festivalpass für das Martin-Luther-Propagandasymposium aufgelegt; er ist gültig für alle dazugehörenden Einzelveranstaltungen zwischen 16. bis 18. Juni 2017 und kostet Vollpreis 25 Euro | ermäßigt 12 Euro, erhältlich ist er in der Jena Tourist-Information.

Das Symposium wird von JenaKultur und Theaterhaus Jena gemeinsam ausgerichtet.

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