Label Jena Lichtstadt
Kontakt
JenaKultur
Kultur. Tourismus. Marketing.
Ein Eigenbetrieb der Stadt Jena
Knebelstraße 10
07743 Jena

Projektmanagement / Denkmal- und Kunstförderung
Evelyn Halm
Knebelstraße 10
07743 Jena
Tel. +49 3641 49-8037
Fax +49 3641 49-8005
evelyn.halm@jena.de

Werkleitung
Jonas Zipf (Werkleiter)
Carsten Müller
Thomas Vogl

Sebastian Jung: Billboard (Flagge)

Künstlerische Intervention anlässlich des Tags der Deutschen Einheit 2021

Billboard (Flagge) von Sebastian Jung Billboard (Flagge) von Sebastian Jung ©JenaKultur, C. Häcker

Im Rahmen von "Kein Schlussstrich! Jena und der NSU-Komplex" wurde am Sonntag, den 3. Oktober 2021 um 11 Uhr eine künstlerische Intervention von Sebastian Jung im öffentlichen Raum anlässlich des Tags der Deutschen Einheit auf dem Stadtbalkon in Jena-Winzerla/ Wasserachse oberhalb des Flößerbrunnens eingeweiht.

Die wie ein riesiges Billboard, eine Werbetafel, anmutende Holzkonstruktion aus OSB-Spanplatten mit einer kreisrunden Ausstanzung steht auf dem Stadtbalkon am unteren Ende der Wasserachse in Jena-Winzerla, direkt über dem Flößerbrunnen.

Ausgehend von dem Motiv des Reklameboards setzt sich der in Jena geborene, jetzt in Leipzig lebende und arbeitende Künstler Sebastian Jung mit der deutschen Flagge auseinander. Er referiert auf die Nachwendezeit, in der das DDR-Emblem aus der Fahne herausgeschnitten wurde. Dabei entspricht der Kreisausschnitt der Größe des Kreises, in dem einst das Hakenkreuz stand.

Die künstlerische Intervention wird von der Jenaer Kunsthistorikerin Prof. Verena Krieger kuratiert. Von ihr stammt auch der Text zur kunsthistorischen Einordnung und Vermittlung der Arbeit, den Sie unten im Aufklapp-Element nachlesen können.

Standort:
Stadtbalkon der Wasserachse in Winzerla/ oberhalb der Wasserwand am Flößerbrunnen

Termin:
3. Oktober bis 7. November 2021

Einweihung:
am Sonntag, 3. Oktober 2021 um 11 Uhr

Ein Projekt von JenaKultur mit freundlicher Unterstützung des Kommunalservice Jena sowie des Ortsteilbürgermeisters und Stadtteilbüros Winzerla.

Künstlerische Intervention anlässlich des Tags der Deutschen Einheit 2021

Auf dem Stadtbalkon Winzerla oberhalb des Flößerbrunnens steht eine große aufgestelzte Holztafel. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Reklametafel, aber sie ist nackt und trägt keine Werbung. Sie hat das Format einer Flagge und in der Mitte ein kreisrundes Loch. Sebastian Jungs Billboard vereint ein einfaches Material mit einer einfachen Form, doch beide sind mehrdeutig und entfalten im Zusammenspiel eine komplexe Sinnstruktur.

In der Wendezeit schnitten Bürger:innen aus DDR-Staatsflaggen das Emblem mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz heraus und schwenkten die durchlöcherte schwarz-rot-goldene Fahne. Die DDR wurde symbolisch ausgelöscht und der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Bundesrepublik auf nationalistische Weise zum Ausdruck gebracht. Das kreisrunde Loch in der Flagge stand für den Umbruch in ein neues Gesellschaftssystem, für große Hoffnungen und eine ungewisse Zukunft.

Das Loch in der Holztafel erinnert an diese Umbruchszeit, allerdings ist es größer als das DDR-Emblem: Sein Format verweist auf eine andere deutsche Flagge, in deren Zentrum vor kreisrundem weißem Grund das Hakenkreuz stand. Das Loch thematisiert also auch den Umgang mit dem Nationalsozialismus – jener verbrecherischen Phase deutscher Geschichte, die von den meisten Deutschen erst bejubelt und nachher angeblich nie gewollt worden ist. Statt sich selbstkritisch mit ihr auseinanderzusetzen, versuchte man, sie vergessen zu machen.

"Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen." (William Faulkner)
Heute ist Deutschland als demokratischer Rechtsstaat verfasst. Doch dieser hat bei seinem Auftrag, die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde aller zu schützen, versagt. Von den Morden des rechtsterroristischen NSU bis zu den rassistischen und antisemitischen Anschlägen in Hanau und Halle zieht sich eine Blutspur rechter Gewalt durch seine Geschichte. Viele schauen weg oder verharmlosen sie, doch durch Ignorieren ist sie nicht aus der Welt zu schaffen – im Gegenteil:
Antidemokratische Haltungen, Rassismus und rechte Gewalt nehmen zu. Das Loch in der Holztafel steht auch für das Ausblenden dieser realen Bedrohung, die doch höchst gegenwärtig ist.

Ebenso sprechend wie das Loch ist die große Holztafel, die es rahmt. Sie besteht aus OSB-Spanplatten, einem preiswerten und robusten Baumaterial, das vielfältig einsetzbar und auch für Heimwerker geeignet ist. Mit der Wende kamen OSB-Platten in großer Zahl in die neuen Bundesländer. Sie wurden zum bevorzugten Arbeitsmaterial für Umbau, Erneuerung und Erweiterung. Die OSB-Spanplatte ist insofern eine Allegorie des Umbaus der ehemaligen DDR durch die kleinen Leute. In Gestalt der Werbetafel steht sie zugleich für die glänzenden Versprechungen der schönen bunten Warenwelt im neuen kapitalistischen Deutschland.

Nach der Wende wurde die Zukunft rasch zur Gegenwart. Das Leben wurde freier, bunter und vielfältiger, zugleich komplizierter und widersprüchlicher. Manche Hoffnung wurde enttäuscht, manches Versprechen nicht eingehalten, die Diskrepanz zwischen Werbung und Wirklichkeit offensichtlich. Während die einen ihre Geschicke aktiv und kritisch in die Hand nehmen, wählen andere den leichten Weg und suchen Sündenböcke. Vorurteile, Hass, Ausgrenzung und gar Gewalt gegen Menschen anderer Herkunft, anderer Meinung oder anderer Orientierungen lösen aber keine Probleme, sondern führen in die Katastrophe.

Die Geschichte ist eine offene Baustelle. Menschliches Handeln – in der Politik wie im Alltagsleben – gestaltet sie täglich aufs Neue und gibt ihr eine Richtung. Jede und jeder ist daran beteiligt – und trägt daher auch Mitverantwortung. Insofern symbolisiert die OSB-Spanplatte in einem allgemeineren Sinne auch das konstruktive Mitgestalten einer menschenfreundlichen Gesellschaft, die Idee einer gleichberechtigten Beteiligung aller.

Durch ihre Aufstellung oberhalb des Flößerbrunnens befindet sich die große Tafel mit dem Loch in einer bereits bestehenden Sichtachse. Sie nimmt einen prominenten Platz in der Winzerlaer Wasserachse ein, einem mit Liebe zum Detail gestalteten harmonischen Ort, der zum Verweilen und Spielen einlädt und den Weg durch die Siedlung zur Freude macht. Mit sanftem Nachdruck, abstrakt und doch sprechend erinnert sie an die ganze deutsche Geschichte mit ihren Brüchen und Kontinuitäten. Sie weist darauf hin, dass Ignorieren und Ausblenden niemals eine Lösung ist und dass es in der Verantwortung von jeder und jedem Einzelnen liegt, ein freundliches und friedliches Miteinander von Menschen zu gestalten. Das Loch in der Spanplatte verweist auf den Hang zum Ausblenden unangenehmer Wahrheiten und öffnet zugleich den Blick in die Zukunft: auf die offene Frage, wohin unser aller Handeln führen wird.

Verena Krieger

Kontakt
JenaKultur
Kultur. Tourismus. Marketing.
Ein Eigenbetrieb der Stadt Jena
Knebelstraße 10
07743 Jena

Projektmanagement / Denkmal- und Kunstförderung
Evelyn Halm
Knebelstraße 10
07743 Jena
Tel. +49 3641 49-8037
Fax +49 3641 49-8005
evelyn.halm@jena.de

Werkleitung
Jonas Zipf (Werkleiter)
Carsten Müller
Thomas Vogl
Label Jena Lichtstadt